Hurra, wir leben noch!

Hurra, wir leben noch!

Waren wir Helden?

Dies ist für all die, die vor 1970 geboren wurden! Wenn du als Kind in den 50er oder 60er Jahren aufgewachsen bist, ist es rückblickend kaum zu glauben, dass wir solange überleben konnten!

Waren wir Helden und wenn ja, warum? Wir saßen im Auto ohne Kindersitz, ohne Sicherheitsgurt und ohne Airbag! Unsere Betten waren mit Farben gestrichen, die voller Blei und Cadmium waren (auch die bunten Bauklötze, die wir uns begeistert in den Mund steckten). Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flaschen mit Bleichmittel, Essig oder Farbe.

Wenn wir zu faul zum Laufen waren, setzten wir uns hinten auf das Fahrrad unseres Freundes - natürlich ohne Helm! 
Der strampelte sich wund, während wir versuchten, uns an den Stahlfedern des Sattels festzuhalten.

Unsere Schuhe waren immer schon eingelaufen durch Bruder, Schwester, Neffe, Freunde der Eltern oder so. 
Auch das Fahrrad (kein Mountainbike) war meistens entweder zu groß oder zu klein. 
Kaum ein Fahrrad hatte eine Gangschaltung und wenn, dann maximal 3 Gänge. Und wenn man einen Platten hatten (kam häufig vor), lernte man vom Vater oder Opa wie man diesen selber flickt (mit Wassereimer, Schlauchwerkzeug, Schmirgelpapier und Gummilösung). 


Wasser tranken wir aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen! Wir tranken aus der gleichen Flasche wie unsere Freunde und keiner machte deswegen ein Theater oder bekam Ausschlag oder wurde krank!

Ein Kaugummi legte man am Abend auf den Nachttisch und am nächsten Morgen steckten wir ihn einfach wieder in den Mund. 
Wir aßen ungesundes Zeug (Schmalzbrote, fette Sülze, viel Zucker, Erbsensuppe, Speck). Keiner scherte sich um 
Kalorien und wir wurden trotzdem nicht dick! 
Von McDonalds, Burger King, Döner-Bude oder Pizza hatten wir noch nie gehört. Bockwurst mit Kartoffelsalat oder ein halbes Hähnchen aus dem "Wienerwald" war unser Gourmetessen. Wir tranken Alkohol und wurden nicht alkoholsüchtig. Drogen kamen nicht mal in den übelsten Krimis vor. 
 


Wir verließen früh morgens das Haus und kamen erst in der Dämmerung oder gar im Dunkeln heim. In der Zwischenzeit wusste niemand, wo wir waren! 
Und keiner von uns hatte ein Handy dabei! Wir hatten nicht einmal ein Telefon zu Hause. Wer unbedingt telefonieren musste, ging in die Telefonzelle. Aber wen sollten wir anrufen und warum? 


Wir haben uns geschnitten, Hände und Knie aufgeschürft, Zähne ausgeschlagen, Knochen gebrochen und niemand wurde deswegen verklagt. Niemand hatte Schuld - außer wir selbst. 
Das waren ganz normale Unfälle und manchmal bekamst du hinterher sogar noch von den Eltern den Hintern versohlt (als erzieherische Zugabe). 
Wir kämpften und schlugen einander manchmal grün und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht besonders.

Wir hatten nicht: 
Playstation, Nintendos, X-Box, 50 Fernsehprogramme, Videos, DVD's, iPods, eigene Fernseher, PC's und Internet, Jahreskarten für den Fitness-Club oder Handys. Was wir hatten waren Freunde!

Das Fernsehprogramm (bis tief in die 70er Jahre gab es nur 3 Programme, bis 1967 nur schwarz-weiß) begann erst um 18 Uhr! Und die Eltern bestimmten was und wie lange geguckt wurde. Für uns gab es maximal am Sonntag "Fury", "Am Fuß der blauen Berge" oder "Dick und Doof".

Wir gingen einfach aus dem Haus und trafen uns auf der Straße. Oder wir maschierten einfach zu den Freunden nach Hause und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach rein. 
Ohne Termin und ohne Wissen der Eltern! 
Keiner brachte uns und keiner holte uns wieder ab!

Wir bauten Hütten, Baumhäuser und Seifenkisten und merkten während der ersten Fahrt den steilen Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.

Wir spielten auf Trümmergrundstücken und fanden dicht unter der Oberfläche Englische Brandbomben aus dem 2. Weltkrieg. Wir warfen sie an Hauswände, ohne zu wissen was wir taten. Passiert ist nichts.

Außerdem spielten wir "Dopp", "Knicker" (Murmeln), "Deutschland erklärt den Krieg gegen...", und "Hinkelstein". Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken oder alten Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeihungen trafen nicht ein: 
Die Würmer lebten nicht für immer in unseren Bäuchen weiter.

Wir spielten Straßenfußball, und nur wer gut war, durfte mitspielen. Wer nicht gut genug war, musste zuschauen und lernen, mit Enttäuschungen klar zu kommen! 
Und es ging auch nicht zum Kinderpsychiater!

Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte damals nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbeurteilung - eher zu Prügel oder Hausarrest! Wir machten unsere Pausenbrote selber, nahmen am Morgen einen Apfel mit und wenn wir das vergaßen, mussten wir hungern, denn in der Schule konnte man nichts kaufen!

Zur Schule gingen wir zu Fuß oder fuhren mit dem Fahrrad. Bei Regen und Schnee brachte uns keiner. Schulbusse oder Taxi? Gab es nicht.

Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. 
Das war klar und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns Mist gebaut hatte war klar, dass die Eltern ihn nicht automatisch aus dem Schlamassel herausboxten. Im Gegenteil: 
Sie waren immer der gleichen Meinung wie die Polizei! 
Na so was !

Mit all dem mussten wir umgehen und wussten wir umzugehen!


WAREN WIR HELDEN? NEIN!

ABER WIR HATTEN DAS GLÜCK, IN EINER GEILEN ZEIT AUFWACHSEN ZU DÜRFEN!




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