11. Generation

Familie Sietz

Pollenschin - Danzig - Rügen - Münster 



11. Generation

Mein Vater, Eitel Ewald Max Sietz, wurde am 3. November 1914 als ältester  Sohn von Max Julius Ernst Sietz in Pollenschin geboren

Aus den schriftlichen Erinnerungen meines Vaters:

"1920, als ich 6 Jahre alt war, entstand der Korridor, meine Westpreußische Heimat wurde Polnisch; wir wurden Polnische Staatsbürger. Ich kann mich noch erinnern, wie ein Polnischer Besatzungssoldat bei uns eine Hausdurchsuchung machte und mit seinem Bajonett das an der Wand hängende Kaiserbild aufschlitzte. Als ich 1921 eingeschult wurde, gab es 2 Klassen. Eine Deutsche mit etwa 70 Kindern und eine Polnische mit 9 Kindern. 1928 kam ich aus der Schule. Auf dem väterlichen Hof hatte ich die Pferde zu versorgen und die hiermit verbundenen landwirtschaftlichen Arbeiten (Pflügen/Eggen). Ich hatte viel Arbeit aber auch viel Spaß.


Der Danziger (Polnischer) Korridor (grün)

Ich hatte immer davon geträumt, einmal den väterlichen Hof zu übernehmen. Aber ich wurde von meinem  Vater 1931 in das etwa 75 km entfernte Preußisch Stargard geschickt, um dort  den Gärtnerberuf zu erlernen.  Von wegen, den Hof erben! Wir waren ja auch 11 Geschwister, davon 5 Jungen. Also verließ ich mit 16 Jahren mein Elternhaus. Meine Eltern habe ich nie wieder für irgendetwas in Anspruch genommen. Die Arbeit in der Gärtnerei war reinste Knochenarbeit und die Behandlung unmenschlich, so dass ich nach einem Jahr eine neue Lehre in der Gutsgärtnerei des Baron Freiherr Olof von Paleske in Spengawsken/Kreis Preußisch Stargard begann. Hier hat es mir sehr gut gefallen. In der Gegend wurde eine Forstlehrstelle frei und ich hatte vor, umzusatteln. Allerdings mußten für Schrotflinte und Uniform 200 Zloty entrichtet werden, die ich nicht besaß. Wären wir zuhause vielleicht nur 5 Kinder gewesen, hätte ich meine Eltern um das Geld gebeten und wahrscheinlich auch bekommen.

Im März 1935 war meine Lehrzeit beendet, eine Weiterbeschäftigung nicht möglich. Also mußte ich zurück nach Hause, was mir sehr schwer gefallen ist. Ich kam mir ziemlich überflüssig und verlassen vor. Mit meinem Vorhaben, ins Deutsche Reich zu flüchten, habe ich mit Niemandem gesprochen. Es ergab sich eine günstige Lage, als ich von meinem Schulfreund Otto Neubauer erfuhr, dass er die gleiche Absicht hatte. Ich schrieb an meinen Onkel Fritz und Tante Berta (Schwester meiner Mutter), die in Zanow/Pommern einen Bauernhof bewirtschafteten, ob wir bei ihnen Zwischenstation machen könnten. Die Antwort war positiv. Ich habe den Beiden diese gute Tat nie vergessen. Nachdem wir den Polnischen Einberufungsbescheid erhalten hatten, wurde es ernst. Unsere Papiere waren im Hemd eingenäht und etwas Geld im Stiefel versteckt. Im Februar 1936 passierten  wir bei Nacht und Nebel, großer Kälte und viel Schnee die Grenze - wir waren in Pommern. Mit dem Zug ging es weiter nach Zanow. Bis zum Hof von Onkel Fritz und Tante Berta waren es noch 3 Kilometer. Wir wurden gut aufgenommen. Eigentlich wollten wir uns freiwillig bei der Wehrmacht melden. Onkel Fritz war aber der Meinung, dass wir uns zuerst bei der Polizei melden sollten. Die Polizei-Meldestelle war in Köslin (Kozalin), etwa 25 km entfernt. Am nächsten Tag fuhren wir mit der Bahn in Begleitung von Onkel Fritz nach Köslin und meldeten wir uns bei der Polizei. Zum ersten Mal sahen wir Polizisten in SS-Uniform. Als sie erfuhren, dass wir  Deserteure waren, wurden wir zunächst in eine Zelle gesperrt. Am nächsten Morgen wurden wir vernommen, mussten 5 Reichsmark bezahlen und wurden unter Bewachung wieder zurück über die Polnische Grenze geschickt. Wir waren erschöpft und niedergeschlagen. Die neuen Grenzgesetze der Nazis waren uns nicht bekannt gewesen. Wir mußten nun zurück nach Pollenschin. Mein Vater war sterbenskrank und hat von der ganzen Angelegenheit nichts mitbekommen. Alles war trostlos. Mit dem Fahrrad bin ich nach Danzig (Gdansk) gefahren um mir hier eine Arbeitsstelle zu besorgen, war aber vergebens. Vom Polnischen Militär habe ich nichts mehr gehört.

Mitte 1936 fand ich Arbeit bei einem Bauern in Tiefenthal, direkt an der Grenze. Ich hatte 5 Pferde und 35 Kühe zu versorgen, dazwischen Feldarbeit. Viel Arbeit, machte mir aber Spaß. Die Bezahlung war auch recht gut. Zu der Familie des Bauern Klatt hatte ich ein sehr gutes Verhältnis. Eines Tages las ich in der Zeitung von der Husarenkaserne in Danzig, einem Lager für Arbeitslose und Flüchtlinge aus dem Korridor.

Im Oktober 1936, nach der Kartoffelernte, kündigte ich und fuhr mit dem Fahrrad nach Danzig-Langfuhr in die Husarenkaserne. Mein Freund Otto Neubauer folgte mir einige Wochen später. Hier wurden wir von der Schutzpolizei militärisch ausgebildet. Im Dienst trugen wir Polizeiuniform, bei Ausgang wurden wir in SA-Uniformen gesteckt. Während eines Erholungsaufenthaltes in Inserlohn/Westfalen im Januar 1937 erhielt ich die Nachricht vom Tode meines Vaters. Die Beerdigung fand ohne mich statt. Im Herbst 1937 wurde das Lager aufgelöst. Viele Kameraden wurde als Arbeitskräfte in das Deutsche Reich vermittelt. Ich kam in ein Landdienst-Ausbildungslager.


1938 im Landdienst-Ausbildungslager (Eitel Sietz 3. von links)

Im Frühjahr 1938 war der Lehrgang beendet und ich kam als Unterführer in das Landdienstlager im Landkreis Danziger Höhe. Ich verdiente hier etwa 75 Gulden im Monat. Am 1. September 1939 wurde die Westernplatte aus beschossen - der 2. Weltkrieg war ausgebrochen und der Korridor war wieder Deutsch. Das Polnische Militär hatten diesen schon einige Zeit vorher verlassen. Die angebotene Übernahme eines Hofes im Korridor von einem vertriebenen Polen kam für mich nicht infrage, so dass ich in Danzig blieb. Ende 1939 trat ich eine Stelle bei der Post in Gdingen (Gdynia) an.  Der Verdienst war zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel.  Ich habe versucht, mich freiwillig bei der Marine zu melden. Da ich aber immer noch die Polnische Staatsbürgerschaft besaß, klappte dies nicht. Ich hatte mich immer als Deutscher gefühlt, also warum sollte ich diese beantragen? Im ehemaligen Korridor wurde eine Bürgerwehr aufgebaut, bei der mein jüngerer Bruder Erwin tödlich verunglückte.

In Gdingen lernte ich meine spätere Ehefrau Elly Henriette Luise Köbke kennen. Elly Sietz wurde am 27.05.1916 in Danzig geboren. Ihre Eltern waren Karl Robert Reinhold Köbke (1885-1939) und Meta Olga Ella Köbke, geb. Gerstenberger (1883-1941). Für die Trauung mußte ich die arische Abstammung bis zu den Urgroßeltern nachweisen. Also fuhr ich mit dem Fahrrad durch die Kreise Karthaus, Berent und Schöneck und besorgte mir die nötigen Urkunden. Dabei besuchte ich auch meine Familie in Pollenschin. Auf dem Hof meiner Mutter lebten noch meine Geschwister Edeltraut, Helene, Käthe, Günter und Horst. Am 21.11.1939 heiratete ich Elly in Danzig-Langfuhr. Unsere erste Wohnung bezogen wir in Gdingen. 


Hochzeitsbild Elle und Eitel Sietz 1939

Anfang 1941 wurde ich zur Kriegsmarine eingezogen. Eigentlich wollte ich ja immer zu den Soldaten. Die Rekrutenausbildung fand in einer ehemaligen Polnischen Kaserne in Zoppot (Sopot) statt. Die Verpflegung war ausgezeichnet und ich war zufrieden. Nach der Rekrutenausbildung kam ich auf die Signalschule in Waren-Müritz. Das Ende des Krieges erlebte ich als Hauptgefreiter in einer Marine-Küstenflackbatterie in Saßnitz/Rügen.

Eitel Sietz 1942

Eitel Sietz und Kamerad 1944

Nach dem die Russen im Mai 1945 Rügen besetzten, kam ich für 15 Monate in Russische Gefangenschaft.  Meine Mutter wurde 1946 vom Hof in Pollenschin vertrieben und lebte bis zu ihrem Tod 1956 in Bergen/Rügen.

Nach der Gefangenschaft kehrte ich nach Saßnitz zurück, denn hier waren meine Frau Elly und meine beiden Kinder Helga und Inge-Lore (1940 und 1941 geboren) nach ihrer Flucht aus Danzig gelandet. Im Winter 1947/1948 floh ich in den Westen und fand in Münster/Westfalen Arbeit als Akkordarbeiter bei einer Baufirma. Nach der Währungsreform holte ich im September 1948 meine Familie aus Saßnitz nach Münster. Hier wurden meine Kinder Manfred, Ute und H. geboren.

Ab 1953 war ich immer weit weg von zu Hause. Ich arbeitete als Polier im Straßenbau (überwiegend Autobahn-Neubau). In dieser Zeit habe ich gutes Geld verdient - natürlich auch viele Überstunden gemacht.

Die Jahre bis zu meinem 21. Lebensjahr und die Nachkriegsjahre waren die schönsten in meinem Leben. Ich bin froh, diese Zeit erlebt zu haben. Vielen war dies nicht vergönnt, besonders nicht meinen 3 Brüdern, die ich im Krieg verloren habe."

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